Seismologische Stationen als Planungsfaktor für Windenergie
In Deutschland erfasst ein dichtes Netz seismologischer Stationen kontinuierlich Bodenbewegungen, die für die Erdbebenüberwachung wichtig sind. Windenergieanlagen können ähnliche Schwingungen erzeugen und dadurch Messungen verfälschen, weshalb viele Bundesländer Schutz- und Prüfradien vorgeben. Da diese Regelungen je nach Bundesland unterschiedlich ausfallen, ist eine frühzeitige Standortprüfung entscheidend.

In Deutschland bebt zwar nicht jeden Tag die Erde, aber wenn sie es tut, wird es von sogenannten seismografischen Stationen aufgezeichnet. Es gibt ein weit verzweigtes Netz seismologischer Messstationen, das von verschiedenen Institutionen betrieben wird. Neben dem German Regional Seismic Network (GRSN) und dem Gräfenberg Seismic Array (GRF-Array) der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) betreiben zahlreiche Landesdienste und Universitäten eigene Stationen. Diese Vielzahl an Messpunkten schafft die Grundlage für ein empfindliches Netz, das kontinuierlich Bodenunruhen registriert und für Forschung, Gefahrenabschätzung und sicherheitsrelevante Aufgaben genutzt wird.
Wie funktionierenseismische Stationen?
Seismologische Stationen erfassen Bodenbewegungen, die durch seismische Wellen verursacht werden, wie etwa Verschiebung, Geschwindigkeit oder Beschleunigung. Diese Wellen entstehen sowohl bei natürlichen Ereignissen wie Erdbeben als auch durch anthropogene Quellen. Die Messung erfolgt überwiegend mit hochsensiblen Seismometern, die das Trägheitsprinzip nutzen. In der angewandten Seismik werden hierfür oft Geophone verwendet. Eine an einer Feder gelagerte Masse bleibt bei Erschütterungen relativ zum Gehäuse weitgehendin Ruhe. Dadurch kann die resultierende Relativbewegung als seismisches Signal präzise aufgezeichnet werden.
Bei einem Erdbeben entstehen durch den Bruchvorgang im Gestein seismische Wellen, die sich durch das Erdinnere ausbreiten. Aus den gemessenen Amplituden und der Entfernung zum Erdbebenherd lässt sich die Stärke des Bebens bestimmen. Durch das Zusammenspiel vieler Stationen ist eine genaue Überwachung der seismischen Aktivität möglich.
Wie haben Windenergieanlagen Einfluss auf die Messstationen
Auch Winenergieanlagen initiieren Schwingungen im Boden, die von den seimischen Stationen aufgezeichnet werden. Durch Windlasten und die Bewegung des Rotors lösen Windenergieanlagen Schwingungen im Turm aus. Diese breiten sich über das Fundament als seismische Wellen in den Boden aus. Wie gut sie weitergeleitet werden, hängt vom geologischen Untergrund am Standort der Anlage und entlang des Ausbreitungsweges sowie von der Entfernung der Winenergieanlage zur Messtation ab. Da die Frequenzen, die beim Betrieb einer Winenergieanlage entstehen, je nach Betriebsart im selben Bereich liegen wie jene, die für die Erdbebenbeobachtung besonders relevant sind, können sie die Aufzeichnungen seismografischer Stationen verfälschen.
Was bedeutet das für Projektentwickler von Winenergieanlagen
Wenn der Abstand zwischen einer Windenergieanlage und einer Messstation zu gering ist, können die seismologischen Aufzeichnungen so stark beeinträchtigt werden, dass die Station ihren Zweck im Messnetz nicht mehr erfüllt. Daher definieren viele Bundesländer Schutz- und Prüfradien, innerhalb derer entweder kein Bau einer Windenergieanlage zulässig ist oder eine Einzelfallprüfung erforderlich wird, in der die möglichen Auswirkungen genauer bewertet werden müssen. Einheitliche Vorgaben existieren in Deutschland bislang nicht.
Wie handhaben es die einzelnen Bundesländer?
Die Bundesländer gehen unterschiedlich damit um, wie Windenergieanlagen im Umfeld seismischer Messstationen zu berücksichtigen sind. Einige legen klare Ausschlussradien fest. Andere arbeiten mit der Festlegung von Beteiligungs- oder Prüfradien. So sollen die Betreiber der Messstationen frühzeitig über geplante Windparks informiert werden, während Projektentwickler*innen die Möglichkeit erhalten, eine Stellungnahme zu potenziellenAuswirkungen abzugeben und ihre Planung bei Bedarf frühzeitig anzupassen.
Im Folgenden ist eine Übersicht mit den einzelnen Abstandregelungen der einzelnen Bundesländer dargestellt. [1]

Kritik an pauschalen Abstandregelungen
Pauschale Abstandsregelungen von Windenergieanlagen zu seismologischen Stationen werden zunehmend kritisch betrachtet. Die Störwirkung von Windenergieanlagen hängt von verschiedenen Faktoren ab, die über die Entfernung zur Messstelle heraus gehen. Dazu zählen z.B. die Art und Aufgabe der Messstation, die geologischen Bedingungen vor Ort, die Leistung der Anlagen oder deren Größe. Starre Radien können diese Unterschiede nicht sinnvoll abbilden. Zudem gibt eszunehmend innovative Möglichkeiten, Störungen zu verringern, etwa durch Filtermethoden oder angepasste Betriebsweisen. In Einzelfällen kann sogar dieVerlegung einer Messstation eine geeignete Option sein. Daher wird zunehmend gefordert, pauschale Mindestabstände zu hinterfragen und durch ein flexiblesVorgehen mit Einzelfallprüfungen zu ersetzen, das die tatsächlichen Bedingungenvor Ort berücksichtigt. Weitere Informationen sind dem Positionspaperdes BWE „Pauschalabstände zu seismologischen Stationen abschaffen und Einzelfallprüfung als Standard festlegen“ zu entnehmen. [10]
Unsere Lösung bei dvlp
Um die Standortprüfung so einfach wie möglich zu machen, stellen wir bei dvlp in unserem Web-GIS seismologische Messstationen in Deutschland klar und samt ihrer relevanten Abstandsradien dar. So sehen Projektentwickler*innen, ob ein geplanter WEA-Standort innerhalb der geltenden Landesvorgaben liegt.
[1] Für Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Berlin, Hamburg, Bremen konnten keine pauschalen Abstandsregeln gefunden werden.
[2] Pauschalabstände zu seismologischen Stationen abschaffen und Einzelfallprüfung als Standard festlegen (BWE) (31.05.2023) - Link
[3] Hinweise zur Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen (WEA) (Windenergieerlass, Ziff. 7.3.4) (31.08.2016) - Link
[4] Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz: Anleitung zur Erstellung der Antragsunterlagen für Windenergieanlagen (15.01.2020) - Link
[5] Erlass für die Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen und Hinweise für die Zielsetzungund Anwendung (Windenergieerlass) (8.05.2018) - Link
[6] WEA vs. seismologischeMessstationen - Herausforderungen und Herangehensweisen (Astrid Stork) (10.11.2023) - Link
[7] WEA vs.seismologische Messstationen - Herausforderungen und Herangehensweisen (AstridStork) (10.11.2023) - Link
[8] Positionspaper: Pauschalabstände zu seismologischen Stationen abschaffen und Einzelfallprüfung als Standard festlegen (BWE) (31.05.2023) - Link
[9] Windenergieerlass (Nds. Ministerialblatt 2021 Nr. 35 S. 1398, Nr. 4.11)
[10] Positionspaper: Pauschalabstände zu seismologischen Stationen abschaffen und Einzelfallprüfung als Standard festlegen (BWE) (31.05.2023) - Link


